Ich war schon etliche Male in Paris. Zu jeder Jahreszeit
mindestens einmal. Ich habe alles mehrfach gesehen, was man als Tourist gesehen
haben muss und ich habe mich mit Einheimischen unter die Pariser Bevölkerung
gemischt. Trotz allem habe ich es bis dato nicht geschafft, einen Blog über
Paris zu schreiben. Warum? Ich weiss es nicht genau. Vielleicht, weil mir Paris
so viel gestohlen hat… darunter auch immer wieder aufs Neue die Zeit…
Vielleicht aber auch, weil mir Paris so viel gegeben hat, und ich dies zuerst
verarbeiten musste...
Das soll sich aber nun ändern:
Was mir Paris gestohlen hat? Meine Liebe, meinen Atem und
wie erwähnt, immer wieder viel Zeit.
Meine Liebe zu meiner Heimatstadt brachte
sie nicht ins Wanken, aber Liebe ist zum Glück kein sich ausschöpfender Vorrat.
Liebe kann man in die Unendlichkeit und zurück verschenken. Warum gestohlen?
Weil ich es zuerst gar nicht wollte. Ich mochte Paris die ersten Stunden meines
ersten bewussten Besuches nicht. Die Stadt, die Menschen, das Chaos… es passte
nicht zu mir. Doch dann riss es sich diese Liebe in einer hinterhältigen Aktion
ohne Vorwarnung an sich und liess sie nicht mehr los. Ich wusste nicht, wie mir
geschah. Ich war nicht in der Lage, mich zu wehren. Ich wusste nur, dass das
mit Paris und mir etwas Festes wird.
Die imposanten Bauwerke, die beeindruckenden Parkanlagen und
der atemberaubende
Grössenwahn der Franzosen- all dies lässt einen immer wieder in Ehrfurcht
erstarren. Besucht man zum Beispiel Versailles,
kann man sich getrost darauf einstellen, dass am Abend der Kiefer schmerzt,
denn öffnet man erstaunt den Mund zum ersten Mal, bleibt er offen bis zum
Schluss. Schlag auf Schlag folgen glorreiche Zeitzeugen eines prunkvollen und
so realitätsfremden Mittelalters. Das gigantische Gebäude, die goldverzierten
Tore oder der monströse Garten- es war ein Paradies in einer sonst
höllenähnlichen Welt. Stünde die Welt vor einem Armageddon, so würde ich mich
in Versailles trotz allem sicher fühlen.
Ich frage mich, wie die Pariser Bevölkerung mit der Tatsache
klar kommt, dass man in dieser Stadt nie Zeit hat. Als Tourist fühle ich mich
verloren. Verloren in einem Sog zeitfressender Strudel. Ich fühle mich in Paris
so schnell wieder zuhause, dass mir das Bewusstsein, bald wieder nach Hause zu
müssen, irgendwie abhanden kommt. Ich bin nicht in Paris, um wieder zu gehen,
ich bin in Paris, um zu sein… und um zu bleiben. Nicht für immer, nur für
länger… ein bisschen… und immer noch ein bisschen.
Was mir Paris gegeben hat? Selbstvertrauen, Verständnis,
Coolness.
In dieser Stadt leben die Menschen nicht nach einem
Gesellschaftsideal, sie leben für sich selbst. Jeder Mensch ist ein Individuum
und ihr Leben das Produkt ihrer kreativen Art und Weise damit umzugehen.
Deswegen wirken die Pariser oft so arrogant. Es ist ihnen im Grunde einfach
egal, wenn du mit ihnen nicht klar kommst. Wer z.B. schon mal in New York war,
kennt das Gegenteil. Diese vor Energie strotzenden Leute steuern ihren
Lebenssinn auf ein kollektiv- gesellschaftliches Ziel hin. In ihrem Sinn, den persönlichen
Zielen nachstrebend, verfallen die Pariser hingegen häufig ins exzentrische. Sie
kleiden sich getreu ihren Vorstellungen und frei von Gesellschaftsansprüchen
und reissen sich (viel mehr als in den USA) von Gesellschaftsidealen los. Man
würde sie in den meisten anderen Städten als komisch bezeichnen, in Paris haben sie hingegen Stil, denn sie
getrauen sich etwas. Diese Art der Selbstinszenierung sollte nicht unterschätzt
werden. Sich so in Szene zu setzen, wie man das möchte, ohne über Meinungen
anderer nachzudenken, ist ein grosser Teil einer gesunden Psychohygiene und
zeugt von einem gesunden Selbstvertrauen.
Paris, die Stadt der Liebe? Vielleicht. Wahrscheinlich.
Paris ist aber vor allem auch die Stadt der vielen Menschen. In Paris findet
man nicht nur einfach Menschenmassen. In Paris scheinen sich die Völker aller
Länder gleichzeitig zu vereinen. So zumindest im Sommer, wenn die ganze Welt
und zu allem Übel auch noch die Franzosen Schulferien haben. Ohne Geduld und Verständnis
prophezeit man sich alsbald selber in eine undankbare, ungemütliche Umgebung.
Mit der richtigen Einstellung und einem gesunden Sinn für Humor lernt man hier
aber selbst in den ungemütlichsten und längsten Schlangen interessante Menschen
kennen und kann eine wahre
Goldgrube der verschiedensten Kulturen beobachten.
…und schlussendlich sind sich wohl alle einig: in Paris
steht man für praktisch nichts vergebens an….
Pariser, dies als letzte Erkenntnis, sind
Überlebenskünstler. Allesamt. In einer Stadt, in welcher im Strassenverkehr
immer jener Vortritt hat, der entweder schneller, stärker oder wendiger ist,
mit einem Stadtzentrum, in welchem sich die durchschnittliche Bevölkerung weder
eine Wohnung noch ein Essen im Restaurant leisten kann, balancieren sich die Einheimischen
von Tag zu Tag durchs Leben. Getrieben werden die Meisten von der Liebe zu
ihrer Stadt. Welche sie im Endeffekt auch noch mit Millionen von nervigen
Touristen teilen müssen. Neben allen Widrigkeiten, die viele von ihnen jeden
Tag bekämpfen, haben sie den Sinn für das Schöne, für die Kunst und für den
Genuss nicht verloren. Im Gegenteil, sie zelebrieren ihre kulturellen Schätze
bewusst und inszenieren sie überschwänglich. Sie sind ein stolzes Volk, ein cooles
Volk.
Paris wird dich kaum in den ersten Stunden begeistern. Paris
wird dich nicht in erster Linie durch seine Schönheit fesseln. Paris hat eine
blosse oberflächliche Betrachtung auch einfach nicht verdient. Paris hat Ästhetik, die
Einheimischen haben Grazie. Melancholie und Tiefsinn überfallen einem nie nach
einem Tag. Das braucht Zeit- und Paris bietet beides konkurrenzlos. Diese Stadt zu mögen ist nicht schwer, sie zu
Lieben ist hingegen eine Fähigkeit, eine, die dein Leben entscheidend beeinflussen wird.
Paris hat sich in meinem Herzen eingebrannt. Über die Jahre
wurde ich gebrandmarkt…
Paris je t’aime!