Samstag, 17. August 2013

Paris- Frankreich

Ich war schon etliche Male in Paris. Zu jeder Jahreszeit mindestens einmal. Ich habe alles mehrfach gesehen, was man als Tourist gesehen haben muss und ich habe mich mit Einheimischen unter die Pariser Bevölkerung gemischt. Trotz allem habe ich es bis dato nicht geschafft, einen Blog über Paris zu schreiben. Warum? Ich weiss es nicht genau. Vielleicht, weil mir Paris so viel gestohlen hat… darunter auch immer wieder aufs Neue die Zeit… Vielleicht aber auch, weil mir Paris so viel gegeben hat, und ich dies zuerst verarbeiten musste...
Das soll sich aber nun ändern:

Was mir Paris gestohlen hat? Meine Liebe, meinen Atem und wie erwähnt, immer wieder viel Zeit.

Meine Liebe zu meiner Heimatstadt brachte sie nicht ins Wanken, aber Liebe ist zum Glück kein sich ausschöpfender Vorrat. Liebe kann man in die Unendlichkeit und zurück verschenken. Warum gestohlen? Weil ich es zuerst gar nicht wollte. Ich mochte Paris die ersten Stunden meines ersten bewussten Besuches nicht. Die Stadt, die Menschen, das Chaos… es passte nicht zu mir. Doch dann riss es sich diese Liebe in einer hinterhältigen Aktion ohne Vorwarnung an sich und liess sie nicht mehr los. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich war nicht in der Lage, mich zu wehren. Ich wusste nur, dass das mit Paris und mir etwas Festes wird.

Die imposanten Bauwerke, die beeindruckenden Parkanlagen und der atemberaubende Grössenwahn der Franzosen- all dies lässt einen immer wieder in Ehrfurcht erstarren.  Besucht man zum Beispiel Versailles, kann man sich getrost darauf einstellen, dass am Abend der Kiefer schmerzt, denn öffnet man erstaunt den Mund zum ersten Mal, bleibt er offen bis zum Schluss. Schlag auf Schlag folgen glorreiche Zeitzeugen eines prunkvollen und so realitätsfremden Mittelalters. Das gigantische Gebäude, die goldverzierten Tore oder der monströse Garten- es war ein Paradies in einer sonst höllenähnlichen Welt. Stünde die Welt vor einem Armageddon, so würde ich mich in Versailles trotz allem sicher fühlen.



Ich frage mich, wie die Pariser Bevölkerung mit der Tatsache klar kommt, dass man in dieser Stadt nie Zeit hat. Als Tourist fühle ich mich verloren. Verloren in einem Sog zeitfressender Strudel. Ich fühle mich in Paris so schnell wieder zuhause, dass mir das Bewusstsein, bald wieder nach Hause zu müssen, irgendwie abhanden kommt. Ich bin nicht in Paris, um wieder zu gehen, ich bin in Paris, um zu sein… und um zu bleiben. Nicht für immer, nur für länger… ein bisschen… und immer noch ein bisschen.

Was mir Paris gegeben hat? Selbstvertrauen, Verständnis, Coolness.

In dieser Stadt leben die Menschen nicht nach einem Gesellschaftsideal, sie leben für sich selbst. Jeder Mensch ist ein Individuum und ihr Leben das Produkt ihrer kreativen Art und Weise damit umzugehen. Deswegen wirken die Pariser oft so arrogant. Es ist ihnen im Grunde einfach egal, wenn du mit ihnen nicht klar kommst. Wer z.B. schon mal in New York war, kennt das Gegenteil. Diese vor Energie strotzenden Leute steuern ihren Lebenssinn auf ein kollektiv- gesellschaftliches Ziel hin. In ihrem Sinn, den persönlichen Zielen nachstrebend, verfallen die Pariser hingegen häufig ins exzentrische. Sie kleiden sich getreu ihren Vorstellungen und frei von Gesellschaftsansprüchen und reissen sich (viel mehr als in den USA) von Gesellschaftsidealen los. Man würde sie in den meisten anderen Städten als komisch bezeichnen, in Paris haben sie hingegen Stil, denn sie getrauen sich etwas. Diese Art der Selbstinszenierung sollte nicht unterschätzt werden. Sich so in Szene zu setzen, wie man das möchte, ohne über Meinungen anderer nachzudenken, ist ein grosser Teil einer gesunden Psychohygiene und zeugt von einem gesunden Selbstvertrauen.



Paris, die Stadt der Liebe? Vielleicht. Wahrscheinlich. Paris ist aber vor allem auch die Stadt der vielen Menschen. In Paris findet man nicht nur einfach Menschenmassen. In Paris scheinen sich die Völker aller Länder gleichzeitig zu vereinen. So zumindest im Sommer, wenn die ganze Welt und zu allem Übel auch noch die Franzosen Schulferien haben. Ohne Geduld und Verständnis prophezeit man sich alsbald selber in eine undankbare, ungemütliche Umgebung. Mit der richtigen Einstellung und einem gesunden Sinn für Humor lernt man hier aber selbst in den ungemütlichsten und längsten Schlangen interessante Menschen kennen und kann eine wahre Goldgrube der verschiedensten Kulturen beobachten.
…und schlussendlich sind sich wohl alle einig: in Paris steht man für praktisch nichts vergebens an….


Pariser, dies als letzte Erkenntnis, sind Überlebenskünstler. Allesamt. In einer Stadt, in welcher im Strassenverkehr immer jener Vortritt hat, der entweder schneller, stärker oder wendiger ist, mit einem Stadtzentrum, in welchem sich die durchschnittliche Bevölkerung weder eine Wohnung noch ein Essen im Restaurant leisten kann, balancieren sich die Einheimischen von Tag zu Tag durchs Leben. Getrieben werden die Meisten von der Liebe zu ihrer Stadt. Welche sie im Endeffekt auch noch mit Millionen von nervigen Touristen teilen müssen. Neben allen Widrigkeiten, die viele von ihnen jeden Tag bekämpfen, haben sie den Sinn für das Schöne, für die Kunst und für den Genuss nicht verloren. Im Gegenteil, sie zelebrieren ihre kulturellen Schätze bewusst und inszenieren sie überschwänglich. Sie sind ein stolzes Volk, ein cooles Volk.


Paris wird dich kaum in den ersten Stunden begeistern. Paris wird dich nicht in erster Linie durch seine Schönheit fesseln. Paris hat eine blosse oberflächliche Betrachtung auch einfach nicht verdient. Paris hat Ästhetik, die Einheimischen haben Grazie. Melancholie und Tiefsinn überfallen einem nie nach einem Tag. Das braucht Zeit- und Paris bietet beides konkurrenzlos. Diese Stadt zu mögen ist nicht schwer, sie zu Lieben ist hingegen eine Fähigkeit, eine, die dein Leben entscheidend beeinflussen wird.

Paris hat sich in meinem Herzen eingebrannt. Über die Jahre wurde ich gebrandmarkt…


Paris je t’aime!