Montag, 14. März 2016

Marokko 2: Marrakesch – bizarre Gefühle in einer magischen Welt

Wenn man durch die Gassen der Marrakesch’er Altstadt schlendert, wie im letzten Beitrag beschrieben, übermannen einem die unterschiedlichsten und bizarrsten Gefühle. Zum einen, zum ersten und zum extremsten ist man ‘überwältigt’… und dies aus so vielen Gründen. Alles bewegt sich, alles ist farbig und verziert. Die meisten Gebäude wirken baufällig oder sind nur noch halb vorhanden. Unglaubliche viele Menschen bevölkern die Strassen, die meisten gehen keiner Arbeit nach und versuchen den Tag totzuschlagen oder durch kleine Gefälligkeiten Geld zu verdienen. So wird uns innert weniger Sekunden mehrmals der Weg zu Orten gewiesen, an welche wir nicht hinwollten und somit auch ohne, dass wir gefragt hätten. Oder man bekommt unaufgefordert eine Schuh- oder Autoreinigung oder wird aus Parkplätzen gewiesen, aus denen man problemlos auch ohne Hilfe rausfahren kann. So gibt man diesen Menschen ein paar Dirham. Eine Kleinigkeit für uns. Für sie nicht. Sie sind allerdings nicht wütend, wenn man sie nicht dafür bezahlt, sie wirken eher enttäuscht- was definitiv eine noch stärkere Wirkung bei uns hinterlässt. Trauer übermannt einem immer wieder ob der falschen Verhältnisse unserer Zeit. Es ist nicht selten auch unangenehm, dauernd Trinkgeld zu geben, denn diese Leute verhalten sich in diesen Situationen meist unterwürfig… und das will ich nicht. Das macht mich wütend. Nicht auf diese Menschen, sondern schlicht auf die Tatsache, dass Geld Hemmungen und Grenzen schafft.


Leben in Marokko ist für den Grossteil der Bevölkerung gleichbedeutend mit einem Überlebenskampf, welchen wir in der Schweiz so nicht kennen. So schleicht sich dann auch Mitgefühl in diesen absurden Mix aus gegensätzlichen Empfindungen. Mitgefühl und Verständnis für diese tollen und freundlichen Menschen, welche einen zwar einzeln absolut nicht bedrängen, in ihrer Masse aber äusserst penetrant in Anspruch nehmen. Dieses Verständnis entwickelt man gerade in Marrakesch sehr schnell, da man unmittelbar nach dem Verlassen des Flughafens mit dieser Armut in Berührung kommt und gleichzeitig sehr viel nicht-materieller Reichtum wahrnimmt. Ebenso entwickelt sich aber auch unglaublich viel Achtung vor diesen Menschen, welche nicht selten trotzdem eine unbändige Energie ausstrahlen und diesen Kampf tagtäglich aufnehmen und ihn vielleicht nicht einmal als solchen empfinden. Zuletzt zeigt sich die Freude, denn man hat eigentlich nie das Gefühl, dass die Marokkaner/innen diesen Kampf jeweils alleine bestreiten. Es wirkt wie die Ordnung im Chaos. Wie Reichtum in der Armut. Man hilft sich gegenseitig. Es wirkt wie eine riesengrosse Familie. Selbst die unzähligen streunenden Katzen und Hunde gehören irgendwie zur Gemeinschaft, werden in Ruhe gelassen oder gar gefüttert. So ist es nichts spezielles, wenn eine verschleierte Mutter mit ihrem Kind auf einer Bank sitzt und wenige Zentimeter weiter, auf der selben Bank, eine zerzauste Katze ihr Junges säubert. Marrakesch scheint eins zu sein.  Toleranz und Verständnis in der Armut, Geduld im Chaos.



Für die meisten Touristen ist die Wahrnehmung der Stadt aber eine total andere. Was wohl für fast alle Einwohner unerschwinglich ist, ist für uns ein wahres Abenteuer. Hinter jeder Tür kann sich eine prachtvolle Oase verstecken. So läuft man, während sich der Hunger meldet, durch eine schmuddelige Gasse und sieht eine verlotterte, grüne Türe mit der kaum lesbaren Aufschrift «café et restaurante». Wir entscheiden, zuerst einmal einen Blick reinzuwerfen, bevor wir es wagen, dort unseren Hunger zu stillen. Na ja, sieht ganz ok aus. Kaum drinnen, führt uns der Kellner aber in den hinteren Teil der Lokalität und wir trauen unseren Augen kaum. Ein wahres Paradies. Einige Palmen, kleine Brunnen, tolle Tische und Stühle, sanfte arabische Musik im Hintergrund und dies alles Sonnendurchflutet. Die Preise sind für unsere Verhältnisse erstaunlich tief. Für zwei Getränke, ein Mittagessen und ein Eis haben wir 190 Dirham bezahlt (ca. 17 Euro). Es kann aber auch passieren, dass man plötzlich in einem «Restaurant» sitzt, das sich im ersten Stock eines Wohnhauses befindet und eher an ein Wohnzimmer erinnert und gerade einmal drei kleinen Tischen Platz bietet (welche meist von Touristen besetzt sind) und eine tolle Atmosphäre bietet. Ab und zu schaut die «Dame des Hauses vorbei» und versichert sich, ob auch alles gut schmeckt, während ihr Sohn am Tisch nebenan das Baby eines Gastes unterhält. Die Preise sind in etwa immer die gleichen. Oder man besucht eine faszinierende Foto- Ausstellung, welche einem für 40 Dirham offensteht. Total überrascht befindet sich am Ende der Ausstellung auf dem Dach dieser Galerie ein kleines Café mit einem atemberaubenden Ausblick auf die Stadt. Diese Erlebnisse beflügeln die Wahrnehmung dieser tollen Stadt immer wieder aufs Neue. Man sollte sich aber auch bewusst sein, dass diese Erlebniswunder für die Einwohner Marokkos, deren durchschnittliches Einkommen bei 110 Dirham pro Woche liegt, verborgen bleiben.



 Marrakesch ist irgendwie eine eigene Welt. Voller Magie und Überraschungen. Sie öffnet Tür und Tor zu so viel Atemberaubendem, zu so vielen Abenteuern und zu allen orientalischen Zaubern aus tausend und einer Nacht… zu für uns günstigen Preisen… und wenn man nicht immer genau hinschaut. Doch dazu mehr am Ende unserer Reise. Der nächste Bericht folgt aus Essaouira!


Auf Bald!

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